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Zum Gedenken an die Pogromnacht in Roth am 8. November 1938 und die Zwangsumsiedlung der Neustädter Juden nach Roth und Fronhausen im Mai 1941

Am 8. November ist es bereits 82 Jahre her, dass das Innere der Synagoge in Roth der vollkommenen Zerstörungen fanatischer Nationalsozialisten zum Opfer fiel. Nur ein Jahr ist es her, dass ein rechtsextremer Attentäter versuchte, ein Massaker in der Synagoge in Halle anzurichten, und erst wenige Wochen, dass ein jüdischer Student in Hamburg auf dem Weg zur Synagoge mit einem Spaten angegriffen und dabei schwer verletzt wurde. Dieses sind nur die Spitzen von Eisbergen, wir müssen nicht weit schauen, so finden wir antisemitische Handlungen und Verlautbarungen auch in unserer näheren Umgebung.

So hätten wir auch dieses Jahr allen Grund, uns in der Synagoge in Roth zu versammeln, um an die menschenverachtenden Taten zu erinnern, die mit Gebäudeschändungen und Diskriminierungen begannen und in den Konzentrationslagern endeten. Der Arbeitskreis Landsynagoge Roth plante vorsorglich, das Gedenken an der frischen Luft, mit Abstand zu veranstalten, doch haben wir aufgrund der in die Höhe schnellenden Infektionszahlen davon Abstand genommen.

Wie in jedem Jahr hatten wir auch dieses Mal ein schicksalhaftes Geschehen ausgewählt, um dieses exemplarisch in den Mittelpunkt des Gedenkens zu stellen. An dieser Stelle sei hieran erinnert. Mit der Stadt Neustadt und der Gemeinde Weimar, mit Schülerinnen und Schülern der Martin von Tours Schule in Neustadt und der Gesamtschule Niederwalgern wollten wir an die Zwangsumsiedlung der Neustädter Juden nach Roth und Fronhausen im Mai 1941 erinnern. Bislang wurde wenig beachtet, dass die gesamten Neustädter Juden, die dort noch verblieben waren, 31 an der Zahl, binnen zwei Tagen noch einige Sachen zusammenpacken durften und die Mehrzahl dann in Roth bei jüdischen Familien und eine kleinere Anzahl in Fronhausen bei dortigen Familien zwangseinquartiert wurden. Hab und Gut mussten sie in Neustadt zurücklassen, mit den Rother und Fronhäuser Juden, zu denen sie keinerlei verwandtschaftliche Bindung hatten, lebten sie zum Teil in drangvoller Enge zusammen. Alleine bei Höchsters in Roth zogen zehn Personen ein, um ein besonders drastisches Beispiel zu nennen. Der Überlebende Karl Stern, der mit seiner Familie von dieser Umsiedlung betroffen war, beschreibt die Situation in einem Brief vom 2. Januar 1946 an Erwin Höchster, der 1936 nach Südafrika emigriert war, folgendermaßen:

„Sehr geehrter Herr Höxter!

Ihr w[erter] Brief vom 17.12.45 in unsern Besitz, und will ich Ihnen denselben auch gleich beantworten.

Auf Ihre Anfrage betreffs Ihrer Eltern nebst Lieben will ich Ihnen alles mitteilen. Ich sowie alle Juden die in Neustadt wohnten, mussten innerhalb 2 Tage Neustadt verlassen durch Veranlassung der Gestapo Kassel. Ich musste nach Roth ziehen, und zwar wohnte ich bei W[it]we Stern mit ihren 2 Söhne, andere zogen nach Bergensteins, und zu Ihren Eltern zogen 3 Familien, ein Teil zog nach Fronhausen, und so kamen wir alle unter aus Neustadt. Ich war bei Ihren Leuten sehr viel und spielten wir sehr oft Karten in Euerem Hause. Ihre Eltern sprachen sehr oft von Ihnen. Auch lernte ich Ihre Schwester Ilse kennen, die zu Besuch einmal dort war.“

Die Neustädter Juden lebten förmlich „auf Abruf“. Die meisten wurden mit Rother und Fronhäuser Juden schon im Dezember 1941 nach Riga deportiert, die übrigen 1942 nach Theresienstadt und dort oder in anderen Konzentrationslagern ermordet. Soweit bislang bekannt, überlebten aus Neustadt nur Karl Stern und die Geschwister Selma und Hugo Kanter die Shoa.

Wir hoffen, im nächsten Jahr zusammen mit den genannten Partnern in Roth der Neustädter Juden und ihres Schicksals gedenken zu können.

Annegret Wenz-Haubfleisch