Stilisierte Wandbemalung mit hebräischer Schrift: Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du.

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»In der zweiten Reihe« (2021) Kathrin Thiemann (Marburg) liest aus ihrem Buch

Erinnerungsprojekt von Kathrin Thiemann: Der Roman „In der zweiten Reihe

Als Kathrin Thiemann 2019 mit ihrer Cousine das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald besucht, findet sie dort einen Stein mit der Aufschrift „Block 34“. Mehr ist nicht geblieben von der Baracke, in der ihr Großvater interniert war. Als Pfarrer hatte er sich mit persönlichen Worten und Taten der nationalsozialistischen Diktatur widersetzt und war dafür mit Zuchthaus und Lagerhaft mit unbestimmter Dauer bestraft worden. Erst ein erfolgreiches Gnadengesuch, betrieben von seiner Ehefrau und engen Freunden, konnte ihn retten. Er kam heim zu seiner Familie. – Eine Heldengeschichte?

Für Kathrin Thiemann stellte sich eine andere Frage: „Wie ist es eigentlich meiner Oma ergangen?“ Allein zurückgeblieben mit sieben Kindern, das achte unterwegs – in einer Zeit großer Not, in der nur Lebensmittelkarten eine spärliche Verpflegung garantierten. Dazu die Ungewissheit: Kommt mein Mann wieder? Wovon und wie sollen wir ohne ihn leben?

Über das Buch

Helene ist in der 1920-er Jahren eine moderne junge Frau. Sie beginnt ein Studium an der Universität und führt ein selbständiges Leben. In zwei Männer verliebt sie sich kurz nacheinander und entscheidet sich für Wilhelm, den Theologen und künftigen Pfarrer. Dass sie damit ein Leben als Pfarrfrau wählt, ist ihr nicht gleich klar. Doch ihr Mann besteht darauf, dass sie ihm zuhause den Rücken freihält, und bald kommen die ersten Kinder. Helene fügt sich in das scheinbar Unausweichliche: sie nimmt die Rolle der Pfarrfrau an, führt einen großen Haushalt und ist ihrem Mann eine wichtige Stütze und auch Gesprächspartnerin.

Ihr Mann ist ein streitbarer und engagierte Pfarrer und Pädagoge; er steht dem herrschenden Nationalsozialismus kritisch gegenüber und findet immer wieder Worte und Aktionen, dies auch kundzutun. Schließlich wird ihm ein demonstrativer Akt zum Verhängnis: er kommt in Zuchthaus-Haft und von dort aus ins Konzentrationslager Buchenwald. Völlig ungewiss ist seine Wiederkehr, die erst durch ein Gnadengesuch möglich wird.

Seine Frau Helene steht währenddessen schwere Zeiten durch: das achte Kind ist unterwegs, die späten Kriegsjahre sind von Hunger und Not geprägt. Angst in den Bombennächten, Denunziationen und Kriegseinsätze der älteren Kinder bedeuten oft Lebensgefahr. Helene geht weit über ihre Grenzen, wenn sie sich immer weitertreibt, ohne Rücksicht auf die beschwerliche Schwangerschaft und eigene Schwächen. Kurz vor der Geburt des achten Kindes kommt Wilhelm endlich frei; nun muss er mühsam für die Existenz seiner großen Familie sorgen. Auch als sie zwei ihrer Kinder auf tragische Weise verlieren, gönnt sich Helene keine Ruhe für die eigene Trauer – es geht ums Überleben.

Der Roman erzählt eine Frauengeschichte in finsteren Zeiten – es gelingt der Autorin, das Porträt einer Frau zu zeichnen, die heutigen Frauen vielleicht fern ist in ihrer Demut und Ergebenheit. Gleichzeitig folgt man ihrem inneren Ringen um diese Rolle, erlebt ihre Stärke im Existenzkampf und ist berührt von ihrem beharrlichen Ringen um kleine Freiräume.

Über die Autorin

Kathrin Thiemann, geboren 1960 in Siegen und seit 40 Jahren Marburgerin, lernte während eines Bildungsurlaubes 2016 das Schreiben kennen. Seitdem lüftet sie regelmäßig ihre Gedankengänge, in erster Linie mit Kurz- und Minutengeschichten. Seit 2016 kommt sie jedes Jahr zum gemeinsamen Schreiben mit einer Autorengruppe zusammen. Neben dem Brotberuf als Physiotherapeutin auf einer Palliativstation ist sie freiberuflich und leidenschaftlich als Clown-Prinzessin unterwegs.

Donnerstag, 04. August 20:00 Uhr

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