Jüdischer Friedhof Fronhausen, Lahn
von Annemarie Schlag
Lage und Beschreibung
Foto: Hahn 2008, alemannia judaica
Durch einen Schenkungsvertrag vom 01. August 1873 erhielt die jüdische Gemeinde von dem Pferdehändler Simon Löwenstein ein Grundstück zur Errichtung eines Friedhofes auf dem „Kratzeberg“.
Seit dieser Zeit sollen bis zur Schließung des Friedhofes durch die Nationalsozialisten im Juni 1940 42 Beerdigungen, davon 7 Kinderbestattungen, stattgefunden haben. Der erste Grabstein wurde für die Verstorbene Sara Löwenstein, die im Alter von 36 Jahren am 22. September 1873 starb, errichtet.
![Zeitgenössischer Katasterplan](/images/zoom_bilder/katasterplanfriedhoffronhausen.jpg)
![Grabstein aus Sandstein](/images/zoom_bilder/grabstein_sara_loewenstein.jpg)
Die zweite Bestattung war die Tochter des Friedhofsstifters Simon Löwenstein und seiner Ehefrau Ester. Tochter Rosa starb im zarten Alter von viereinhalb Monaten am 26. März 1874. Die letzte Bestattung war Minchen Sonn, die 1938 starb. Sie besitzt keinen Grabstein. Am 21. Juni 1941 starb Auguste Giedel Löwenstein. Es ist unklar, ob sie noch auf dem Friedhof in Fronhausen oder auf dem Jüdischen Sammelfriedhof in Marburg, Alter Kirchhainer Weg, beigesetzt wurde.
Während der NS-Zeit wurde der Friedhof nicht verkauft. Auf Befehl der amerikanischen Militärregierung wurden nach Kriegsende 1945 die umgeworfenen Grabsteine wieder aufgerichtet. Durch einen Vergleich vor der Wiedergutmachungsbehörde in Gießen wurde der Friedhof am 13. Februar 1952 der Headquarters Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) mit Sitz der Vermögensverwaltung in Nürnberg übertragen. Der Landesverband der jüdischen Gemeinde in Hessen erwarb ihn im Jahr 1960.
Im März 1986 wurde der Friedhof verwüstet. Die Täter rissen einen Teil des Holzzauns ein und stürzten 17 Grabsteine um, zwei zerbrachen in der Mitte. Zur Ermittlung der Täter setzte der Landrat eine Belohnung von 1000,- DM aus. Der Friedhof wurde wieder hergestellt, die Täter jedoch nie ermittelt.
Die 39 Grabstätten sind alles Einzelgräber und aus Sandstein. Sie haben eine schlichte Form, einige weisen auf den oberen Abschlüssen ornamentale Schmuckformen auf. Die Inschriften sind vorderseitig auf Hebräisch und rückseitig teilweise auf Deutsch. Sie beginnen mit der hebräischen Begräbnisformel: „Hier ist begraben“ oder „Hier ist verborgen“ und enden mit der Schlussformel: „Seine/ Ihre Seele möge eingebunden sein in das Bündel des Lebens.“ Der in Fronhausen geborene Karl Löwenstein, Sohn von Moses I. und Henriette, geborene Schott lebte seit Anfang des 20. Jahrhunderts in Berlin. Er überlebte den Holocaust und veranlasste 1964 die Setzung eines Gedenksteins für die Opfer der NS-Zeit.
![Gedenkstein Vorderseite](/images/zoom_bilder/mahnmal_front.jpg)
![Gedenkstein Rückseite](/images/zoom_bilder/mahnmal_back.jpg)
Die Inschrift lautet:
Zum mahnenden Gedenken an die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde von Fronhausen die ein Opfer der Nazi-Verfolgung 1933 -1945 geworden sind
Die Inschrift auf der Rückseite:
Gewidmet von Karl Löwenstein
Das Eingangstor ist verschlossen. Den Schlüssel erhalten Besucher in der Gemeindeverwaltung. Samstags wegen der Sabbatruhe und an jüdischen Feiertagen ist ein Besuch auf dem Friedhof nicht gestattet. Männliche Besucher sollten beim Betreten eine Kopfbedeckung tragen.
Alle Fotos: Annemarie Schlag
Eine Aufstellung der Quellen finden sie auf der Seite des Landesgeschichtlichen Informationssystems Hessen.
Anfahrt
Der jüdische Friedhof befindet sich auf dem Stollberg zwischen Fußballrasenplatz und Tennisanlage, in direkter Nachbarschaft der Grundschule. Er hat eine Größe von 14ar und ist mit einem Zaun und mit einer Buchenhecke umgeben.
Jüdische Familien in Roth, Lahn
Artikel und Text auf Infotafeln von Annegret Wenz-Haubfleisch
Herkunft der jüdischen Familien von Roth
Jüdische Bewohner im Schenkisch Eigen (Roth, Wenkbach, Argenstein) werden bereits 1594/95 erstmals erwähnt, allerdings nicht namentlich. Im 17. Jh. erfahren wir auch Namen einzelner Familienvorstände in Roth, dennoch war deren Ansiedlung offenbar nicht kontinuierlich, so dass man die Vorfahren der Juden, die im 20. Jh. in Roth lebten, erst im 18. Jh. greifen kann.
Aus neun jüdischen Familien, die 1744 in Roth lebten, erhielten nur die von Salomon Susmann und Loeb Juda (auch Loeb Salomon gen.) weiteres Bleiberecht im Dorf. Salomon Susmanns Familie tritt nicht weiter in Erscheinung, Loeb Judas Familie starb Ende des 18. Jhs. in männlicher Linie aus. Dagegen verblieb offenbar ein Sohn der ausgewiesenen Familie des Seligmann, Aron Seligmann, in Roth oder kehrte dorthin zurück. Er und seine Frau Scheile hatten jedoch keine Kinder. Sie adoptierten daher um 1795 einen Schwestersohn von Scheile aus Breidenbach im Großherzogtum Darmstadt. Dieser nahm in der Westphälischen Zeit (1806-1813) den Namen Stern an und wurde Ahnherr der Familien Stern, die noch im 20. Jh. in Roth lebten.
Begründer der ebenfalls bis ins 20. Jh. in Roth existierenden Familie Höchster war Meyer Isaac, gebürtiger Schwabe, der um 1775 mit seiner nicht namentlich bekannten Frau, aus dem Wittgenstein‘schen kommend, nach Roth einwanderte. Seine Frau war eine Schwester Aron Seligmanns, die dort als Magd gedient hatte. Meyer Isaac bekam eine Aufenthaltsgenehmigung (sog. Toleranzschein) und zeugte mit seiner Frau die Kinder Sara, Reitz und Isaac. Isaac nahm den Namen Höchster an.
Isaacs Schwestern ehelichten zugewanderte Männer, die sich in Roth dauerhaft niederließen. Reitz heiratete Seligmann Bergenstein aus Leihgestern, der in Roth als Knecht gedient hatte. Sara vermählte sich mit Marcus Wäscher aus Ziegenhain, welcher 1815 zuwanderte. Die Familie Wäscher starb Ende des 19. Jhs. aus.
In der ersten Hälfte des 19. Jhs. heirateten zwei Töchter aus der Stern-Familie zwei Söhne aus der Höchster-Familie, wodurch faktisch alle jüdischen Familien in Roth, zumindest über die weiblichen Linien, miteinander verwandt waren.
Die verwitwete Giedel Höchster geb. Stern heiratete 1855 Baruch Nathan aus Lohra. Hierdurch etablierte sich auch eine Familie Nathan in Roth.
Die Familienzweige von Stern, Höchster, Bergenstein und Nathan bestimmten seit dem 19. Jh. das jüdische Leben in Roth. 1922 kam Markus Roth aus Nieder-Ohmen hinzu, der in die Familie von Herz Stern II einheiratete, da deren einziger Sohn Hermann im Ersten Weltkrieg gefallen war. Er gründete mit der Tochter Selma eine Familie.
Die jüdischen Familien im 20. Jahrhundert
Im 20. Jh. lebten zunächst noch neun jüdische Familien und eine einzelne Person aus der Familie Bergenstein in Roth.
Die Entwicklung, die sich im 20 Jahrhundert vollzog, ist trotz aller wissenschaftlichen Forschung zum Nationalsozialismus kaum begreifbar. Roth gehörte vor 1933 nicht zu den besonders „braunen“ Orten. Eine Auswertung der Reichstagswahlergebnisse der Weimarer Republik zeigt, dass die Rother zwar stark deutschnational eingestellt waren, andererseits auch viele der SPD und der KPD zuneigten. Die wenigen übrigen verteilten sich auf die liberalen Parteien. Bei den Reichstagswahlen von 1928 bis 1932 lag die NSDAP in Roth deutlich unter dem Kreisdurchschnitt. Hierzu passt, dass noch 1934 viele Einwohner an dem plötzlichen Tod der jungen Mutter Selma Roth Anteil nahmen und ihr das letzte Geleit gaben.
1935 hatte sich die Situation bereits deutlich gewandelt. Es ist aktenkundig, dass auf dem Gelände eines Geschäftsmanns und auf einem Bauernhof Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ standen. Markus Roth, der Düngemittelhändler, wurde vor Gericht der Gesetzesübertretung beschuldigt und in der Presse denunziert, worauf sein Geschäft praktisch zum Erliegen kam. Als 1937 Emma Stern, Roths Schwiegermutter, starb, begleitete sie kein christlicher Einwohner mehr auf den Friedhof, die im Handwerk ungeübten Juden mussten gar den Sarg selbst herstellen.
Die früheren Spielkameraden der jüdischen Kinder traten in die Hitlerjugend ein, wurden mit der nationalsozialistischen Propaganda indoktriniert und wandten sich von ihnen ab. Sie waren dadurch isoliert, ihr Alltag wurde öde und trist. An der Rother Volksschule war einer der beiden Lehrer, Knott, ein überzeugter Nationalsozialist, der die Kinder mit Hetzreden gegen Juden überzog und die jüdischen Schülerinnen und Schüler umso mehr demütigte. Sie konnten jedoch ohnehin die Schule nur noch bis etwa 1937 besuchen.
Vielleicht erkannten die jüdischen Familien nicht sogleich, dass ihr Leben bedroht war. Auf jeden Fall wurde ihnen ab Mitte der 30er Jahre bewusst, dass sie ihre wirtschaftliche Existenz nicht mehr aufrecht erhalten konnten und sie und ihre Kinder damit keine Zukunft in Deutschland mehr hatten. So versuchten sie, das Land zu verlassen. Nicht alle besaßen die finanziellen Mittel und die nötigen Beziehungen. Für die Familien Bergenstein und Nathan war es wohl von vornherein aussichtslos. Die Familien Höchster, Roth und Stern schafften es zum Teil, nur eine der Stern-Familien konnte sich geschlossen in Sicherheit bringen. Elf jüdische Bewohner Roths überlebten so in Südafrika, den USA und England.
Für die Zurückgebliebenen wurde das Leben zunehmend schwierig, weil die Gesetze und Verordnungen immer rigider und die wirtschaftliche Not immer drängender wurden Zum Lebensunterhalt mussten Wertgegenstände aus den Händen gegeben, auch Immobilien verkauft werden. Wenige mutige Dorfbewohner ließen ihnen heimlich Lebensmittel zukommen.
Im Sommer 1941 wurde Roth Ghetto-Dorf. 20 Personen aus Neustadt wurden in den jüdischen Familien zwangseinquartiert, davon alleine zehn bei der Familie Höchster, sechs bei Sterns und je zwei bei Nathans und Bergensteins. Nach der ersten Deportation nach Riga im Dezember 1941, der die meisten Menschen zum Opfer fielen, blieben einige von ihnen in den Häusern von Rother Familien zurück. Sie wurden zusammen mit der letzten Familie Stern 1942 nach Theresienstadt deportiert. Im Regierungsbezirk Kassel gab es insgesamt drei Deportationen, allerdings waren in dem mittleren Transport Ende Mai 1942 in den Bezirk Lublin (Izbica/Sobibor) keine Rother Juden.
15 Rother Juden und Jüdinnen wurden in Konzentrationslagern umgebracht. In wenigen Jahren hatte sich Roth durch das Agieren überzeugter Nationalsozialisten vom „freundlichen stillen“ Dorf zu einem garstigen, menschenverachten den und menschenfeindlichen Ort für die in enger Nachbarschaft wohnenden Juden entwickelt.
Der Abschnitt "Die jüd. Familien im 20. Jahrh." entnommen aus der Broschüre über die Stolpersteine.
Stolpersteine in Roth, Lahn
Foto: Annegret Wenz-Haubfleisch
Denjenigen jüdischen Familien, die in der NS-Zeit aus Roth ins Ausland vertrieben oder deportiert und ermordet wurden, hat der Arbeitskreis 2010 und 2013 Stolpersteine und eine Gedenkbroschüre mit vertiefenden biografischen Informationen gewidmet.
Bitte klicken Sie auf die Markierungen!
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Zwei Familien haben 2013 der Verlegung vor ihren Grundstücken nicht zugestimmt. Diese neun Steine wurden vor der Synagoge als religiösem Mittelpunkt unter Angabe der eigentlichen Adresse verlegt in der Hoffnung, sie später einmal an den ihnen gebührenden Ort umsetzen zu können
Hier die gesamte Stolperstein-Broschüre:
Geschichte der Juden aus Roth, Lahn
Historischer Überblick vom 16. bis zum 20. Jahrhundert
von Annegret Wenz-Haubfleisch
Die Zeit der adligen Schutzherrschaft vom 16.-18. Jahrhundert
Die Dörfer Roth, Wenkbach und Argenstein bildeten einst das Schenkisch Eigen, ein Gericht, in dem das Adelsgeschlecht der Schenken zu Schweinsberg umfangreiche Herrschaftsrechte besaß, darunter auch das Recht, Juden anzusiedeln. Sie erteilten ihnen hierfür Schutzbriefe, mit denen sie lukrative Einnahmen erzielten.
![Fünf handgeschriebene Dokumente](/images/zoom_bilder/01_judenschutzbrief.jpg)
![Handgeschriebene Liste von Personen](/images/zoom_bilder/e_02_ausgewiesene_juden.jpg)
Ein erster Hinweis auf eine solche Ansiedlung im Schenkisch Eigen ist in einem Türkensteuerregister aus dem Jahr 1594/95 enthalten. Danach hatten die unter den Schenken im Eigen lebenden sieben Juden zusammen 200 Gulden Vermögen zu versteuern und zahlten jeder eine Kopfsteuer von 3 ½ Hellern zur Abwehr der Türkengefahr. Es ist zu vermuten, dass von den sieben Juden und ihren Familien auch einige in Roth ansässig waren.
Sichere Kenntnis über vier jüdische Familien in Roth ist aus dem Jahr 1666 erhalten. 1710 lebten in Roth sechs jüdische Familien mit 33 Personen. 1737 sollen sogar 13 Familien mit 54 Personen hier anwesend gewesen sein. 1744 griff der hessische Landgraf als Landesherr radikal in die Ansiedlung von Juden in den Dörfern und Städten seines Landes ein. Er ließ alle mit ihren Familien namentlich erfassen und bestimmte, wem das weitere Wohnrecht in dem jeweiligen Ort zugestanden wurde und wem nicht. Aufgrund dieser Anordnung verlor der Großteil der damals etwa 38 in neun Familien wohnenden Juden das Aufenthaltsrecht in Roth, nur zwei Familien blieben zurück. Die jüdische Gemeinde blieb daraufhin mehrere Jahrzehnte sehr klein.
Die Zeit der Emanzipation und Integration im 19. und 20. Jahrhundert
In der Zeit des Königreichs Westphalen (1807-1813) unter Napoleons Bruder Jérôme erhielten die Juden erstmals die bürgerliche Gleichstellung. Damals heirateten auswärtige Juden in Rother Familien ein und schufen die Basis für die demographische Entwicklung der Gemeinde im 19. Jh. 1816 gab es bereits wieder vier Familien: Bergenstein, Höchster, Stern und Wäscher.
Bis Mitte des Jahrhunderts verdoppelte sich die Anzahl der Familien. Jüngere Söhne der Stammfamilien blieben am Ort, neu hinzu kam die Familie Nathan. Etwa 50 Juden lebten damals in Roth, ihr Anteil an der Bevölkerung betrug rund 10 Prozent. Prozentual gesehen besaß Roth eine der größten jüdischen Gemeinden um Marburg. 1933, als Hitler an die Macht kam, bestand diese noch aus den sechs Familien Bergenstein, Höchster, Nathan, Roth und Stern (3 Zweige) mit insgesamt 32 Personen.
Im 19. Jh. bildeten Roth, Fronhausen und Lohra eine Synagogengemeinde, deren Hauptsitz Roth war. Hier hatten spätestens seit der Mitte des 18. Jhs. eine Synagoge und auch ein Friedhof bestanden.
![SW-Foto einer Gruppe von Kindern mit Hund](/images/zoom_bilder/05_kinder_mit_hund.jpg)
![SW-Foto eines Mannes auf einem Traktor](/images/zoom_bilder/06_erwin_hoechster_auf_motorrad.jpg)
Zusätzlich wurde eine jüdische Elementarschule eingerichtet; der Lehrer wohnte zumeist in Roth, hatte aber auch in Fronhausen für die dortigen und die Lohraer Kinder Unterricht zu halten. Das Schullokal in Roth konnte noch nicht ermittelt werden. 1881 spaltete sich die Fronhäuser Gemeinde ab, erwarb ein eigenes Gebäude, in dem sie einen Betraum einrichtete und in diesem Zuge auch eine eigene Elementarschule weiterführte.
![SW-Gruppenfoto aller Schulkinder](/images/zoom_bilder/04_stern_bergenstein.jpg)
Die Rother jüdischen Kinder besuchten hingegen von da an die allgemeine Volksschule. Typisch für Landjuden verdienten die Rother Juden ihren Lebensunterhalt mit kleineren Handelsgeschäften: vornehmlich mit Kurzwaren und Stoffen, Getreide und Futtermitteln sowie Vieh. Bis ins 20. Jh. betrieben sie diesen Handel teilweise noch im Umherziehen entweder mit Pferd und Wagen, zu Fuß, mit einem Bernhardiner und Wägelchen oder schon ganz modern: mit einem Motorrad. Einige besaßen etwas Land und Vieh, womit sie nebenher kleine Landwirtschaften betrieben.
Besonders seit dem ausgehenden 19. Jh. treffen wir Juden auch in den örtlichen Vereinen an als Mitglieder im Turn- und später im Fußballverein sowie im Gesangverein.
![SW-Gruppenfoto von Männern im Tor](/images/zoom_bilder/09_sportclub.jpg)
![SW-Foto einer Männergruppe mit Fahne und Vereins-Tafel](/images/zoom_bilder/08_gesangsverein.jpg)
Sie engagierten sich auch in der örtlichen Theatergruppe. Dies belegt die zunehmende Integration in das Dorfleben. Zeitzeugen berichten, dass man in den 20er Jahren des 20. Jhs. in gut nachbarschaftlichen Verhältnissen lebte und die Kinder beider Religionen auch Freundschaften schlossen und miteinander spielten.
Als der örtliche Gesangverein 1926 sein 35-jähriges Bestehen feierte, schien die Welt noch in Ordnung. Die Festschrift belegt, dass aus verschiedenen jüdischen Familien Männer nicht nur Mitglieder im Gesangverein waren, sondern sich auch bei der Festvorbereitung in den hierzu gebildeten Ausschüssen engagierten. Hermann Höchster, der Gemeindeälteste, war sogar Ehrenmitglied dieses Vereins.
![](/images/zoom_bilder/10_theatergruppe.jpg)
![Doppelseite einer Festschrift mit Mitgliedsnamen](/images/zoom_bilder/03_buch.jpg)
Die Zeit der Verfolgung und Auslöschung der Gemeinde durch das Nazi-Regime (1933-1942)
Wenn auch die Reichstagswahlergebnisse der Weimarer Republik zeigen, dass Roth nicht zu den besonders „braunen“ Orten gehörte und die NSDAP zwischen 1928 und 1932 hier noch deutlich unter dem Kreisdurchschnitt lag, so änderte sich die Situation doch sehr schnell nach der Machtübernahme Hitlers.
Nahmen 1934 nach Aussage der Familie Roth noch viele Rother an der Beisetzung der plötzlich verstorbenen jungen Mutter Selma Roth teil, so wurde ihr Witwer, der Düngemittelhändler Markus Roth, bereits ein Jahr später denunziert und vor Gericht der Gesetzübertretung beschuldigt. Roths Geschäft kam in der Folge zum Erliegen. Gleichzeitig ist aktenkundig, dass auf dem Gelände eines Geschäftsmanns und auf einem Bauernhof Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ standen.
Die Überlebenden berichten von Schikanen in der Schule und Ausgrenzung vom Spiel, weil die christlichen Kinder der HJ und dem BdM beitraten. Die erwachsenen Juden wurden als Freunde und Nachbarn gemieden, die Männer durften ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen, so dass die Lebensgrundlagen der Familien allmählich zerstört wurden. Den jüdischen Familien wurde klar, dass sie keine Zukunft mehr in Deutschland hatten. So versuchten sie, das Land zu verlassen. Nicht alle besaßen die finanziellen Mittel und die nötigen Beziehungen. Die Familien Höchster, Roth und Stern schafften es zwischen 1936 und 1938 zum Teil auszuwandern, nur eine der beiden Stern-Familien konnte sich geschlossen in Sicherheit bringen. Elf jüdische Bewohner Roths überlebten so in Südafrika, den USA und England.
Für die Zurückgebliebenen wurde das Leben zunehmend schwierig, weil die Gesetze und Verordnungen immer rigider und die wirtschaftliche Not immer drängender wurden. Hinzu kam, dass Roth im Sommer 1941 Ghetto-Dorf wurde. Im Zuge der Konzentration von Juden in bestimmten Häusern in den Städten oder einzelnen Orten auf dem Land wurden 20 Personen aus Neustadt bei den verbliebenen jüdischen Familien Bergenstein, Höchster, Nathan und Stern zwangseinquartiert und lebten fortan in drangvoller Enge. In zwei Deportationen wurden die Familien 1941 im Dezember nach Riga und im September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Aus Roth überlebte niemand die Ghettos und Konzentrationslager.
Jüdisches Leben in Roth wurde so für immer ausgelöscht.
Geschichte der Juden aus Fronhausen, Lahn
Historischer Überblick vom 16. bis zum 20. Jahrhundert
von Annemarie Schlag
Die Zeit der landgräflichen Schutzherrschaft vom 16.-18. Jahrhundert
Die Schutzherrschaft über die Juden in Fronhausen übten die Landgrafen von Hessen aus.
Unter den Juden, die 1574 dem Schutz Landgraf Ludwigs IV. von Hessen-Marburg unterstanden und ihm für sich und alle anderen nicht anwesenden landgräflichen Schutzjuden gelobten, binnen zwanzig Monaten zehntausend Gulden in guter, gangbarer, unverschlagbarer Reichsmünze aufwechseln zu wollen, zeichnete mit eigenhändiger Unterschrift in hebräischen Buchstaben auch Susmann aus Fronhausen. In dem Einwohnerverzeichnis des Salbuches von 1592 des Gerichts Lohra mit Fronhausen findet Susmann ebenfalls Erwähnung, indem er seine bisher gelieferte Naturalabgabe in Form von ½ Zentner Salpeter in einen Geldbetrag umwandelte. Desweiteren wurde Susman zur Zahlung der Türkensteuer veranlagt. Als es 1599 zu Erhöhungen der Schutzgeldabgaben an die landgräfliche Rentkammer kam, konnte Susmann die hohen Forderungen mit Verhandlungsgeschick und Beharrlichkeit abmildern.
Im 17. Jahrhundert werden Jakob mit Frau Sprintza, fünf Töchtern und einem Sohn namens Seligmann sowie ein Jude Hirtz mit Frau Brunches erwähnt. Im Jahr 1710 lebte eine Familie Hirtz mit sieben Kindern in Fronhausen. 1737 wird ein Hirsch Levi, 68 Jahre alt, genannt. Ihm wird bescheinigt, daß er bereits 43 Jahre einen Schutzbrief für Fronhausen hatte. Er könnte mit Hirtz identisch sein; alle Nennungen können sich also auf den bereits im 17. Jahrhundert erwähnten Hirtz beziehen.
Erst im 18. Jahrhundert vergrößerte sich die Gemeinde, und es siedelten sich die Familien an, die bis im 20. Jahrhundert in Fronhausen lebten. In der hessischen Judenstättigkeit von 1744 wird nur Jacob Levi genannt. Dieser hatte mit seiner Ehefrau vier Töchter und einen Sohn. Vermutlich handelt es sich bei dem Sohn um Meier Levi (Levit Meier), der sich später Löwenstein nennt. Die Obrigkeit Fronhausens bescheinigt ihm, dass er eine starke Familie hat und ein beispielloses Exempel von Ehrlichkeit ist, so dass man ihn im Handel jedem Christen vorzieht. Meier Levi (Löwenstein) hatte mit seiner Ehefrau vier Söhne: Jacob, Löb, Hirsch, Anschel, vermutlich noch eine Tochter mit Namen Gütchen, geboren 1768.
Dieses sind die Urahnen der weit verzweigten Familie Löwenstein in Fronhausen.
Die Zeit der Emanzipation und Integration im 19. Jahrhundert
Mit der bürgerlichen Gleichstellung unter Napoleons Bruder Jérôme (1807– 1813) musste die jüdische Bevölkerung zur Identifizierung einen Familiennamen annehmen. Bisher benutzten sie neben ihrem eigenen Vornamen den ihres Vaters gleichsam als Nachnamen.
Nachweisbar lebten 1852 folgende Familien in Fronhausen:
Lion Seligmann, Kauf- und Handelsmann mit 6 Kindern
Simon Löwenstein, Pferdehändler
Hirsch Löwenstein, Metzger, mit 11 Kindern
Mendel Löwenstein, Metzger, mit 6 Kindern
Samuel Stilling, Metzger, mit 8 Kindern
Im Jahr 1864 lebten 46 Juden in Fronhausen. Es gab 2 Kaufleute, 3 Handwerker und einen Pferdehändler.
Die Jüdische Gemeinde am Ende des 19. Jahrhunderts
Die Orte Roth, Lohra und Fronhausen bildeten im 19. Jahrhundert zunächst eine Synagogengemeinde mit Sitz und Synagoge in Roth. 1881 traten Fronhausen und Lohra aus dieser Synagogengemeinde aus und gründeten in Fronhausen ihre eigene. Bis zum Kauf eines geeigneten Hauses in der Marburger Straße im Jahr 1886 fanden Gottesdienste und Schulunterricht in Privathäusern statt. Die Gründung der Schule wurde 1883 genehmigt. Die Zahl der jüdischen Schulkinder betrug für Fronhausen 12 und für Lohra 6 Kinder. Der erste Lehrer und Vorsänger war Salomon Andorn aus Gemünden, der die Stelle von 1883-1893 inne hatte. Sein Nachfolger wurde Jakob Höxter aus Zimmersrode. Er heiratete 1899 Franziska Löwenstein, die Tochter von Simon und Ester. Das Ehepaar zog 1899 nach Jesberg. Die Schule bestand vermutlich noch bis Anfang 1904.
Die Etagen über dem Schul- und Betsaal waren an vier nicht jüdische Familien vermietet. Im Dezember 1941 übernahm die Bezirksstelle Hessen-Nassau der Reichvereinigung der Juden in Deutschland das Gebäude.
Seit 1874 bestand der jüdische Friedhof auf dem Stollberg mit der Flurbezeichnung „Am Kratzeberg“. Dieses Flurstück gehörte dem Pferdehändler Simon Löwenstein, der es 1873 der Jüdischen Gemeinde zur Anlegung eines „Totenhofes“ schenkte.
![SW-Foto eines dreigeschossigen Backsteinhauses](/images/zoom_bilder/gemeindehausfronhausen.jpg)
![Zeitgenössischer Katasterplan](/images/zoom_bilder/katasterplanfriedhoffronhausen.jpg)
Die Zeit der Verfolgung und Auslöschung der Gemeinde durch das Nazi-Regime (1933-1942)
Seit vielen Generationen lebten die jüdischen Menschen im Ort. Sie engagierten sich in der Dorfgemeinschaft, waren Deutsche mit jüdischer Religion. Im 1. Weltkrieg beteiligten sich die Männer am Militärdienst. Friedrich Löwenstein, geboren 1888, fiel im Kampf um Verdun.
![SW-Foto einer Männergruppe vor Fachwerkhaus](/images/zoom_bilder/maennergesangsverein.jpg)
![Geschmückte Namensliste](/images/zoom_bilder/gefallene.jpg)
Nach Hitlers Machtübernahme am 30. Januar 1933 verlor die jüdische Bevölkerung nach und nach ihre staatsbürgerlichen Rechte. Ende März 1933 durfte Hermann Löwenstein aufgrund eines Verbotes sein Vieh nicht mehr schächten. Schilder mit der Aufschrift „Juden sind hier unerwünscht“ standen am Ortsausgang Richtung Bellnhausen und Richtung Niederwalgern. Im Juni 1935 wurden Schaufensterscheiben am Textilgeschäft von Julius Löwenstein und am Metzgerladen von Hermann Löwenstein eingeschlagen. Gleiches geschah mit den Fensterscheiben der Witwe Regina Löwenstein im Oktober 1935. Die Holocaust-Überlebende Trude Meyer geborene Löwenstein schilderte später dazu: „Wir dachten es ist nur ein böser Alptraum, aus dem wir erwachen und alles ist wieder normal. Wir haben doch in einem friedlichen Dorf gelebt. Wer hat denn Hass gekannt? Warum sollten wir auswandern, wir haben niemanden etwas Böses getan“.
1935 lebten in Fronhausen noch fünf Familien.
Johanna Bachenheimer geboren 1895, unverheiratet, Tochter von David und Bertha geborene Schönfeld. Die Eltern starben 1922 bzw. 1931. In ihrem Haus in der Marburger Straße führten sie ein Geschäft für Kolonialwaren. Ihr Dorfname war „Bachenheimers“.
Gottfried und Frieda Goldschmidt geborene Löwenstein mit Sohn Julius-Jacob und Tochter Ilse. Gottfried, geboren in Obersemen, fuhr über Land und verkaufte Stoffe, Textilien und Kurzwaren. Seine Ehefrau Frieda, geboren 1894, war die Tochter von Jacob Löwenstein, der mit seiner Familie in Oberwalgern wohnte.
Im Haus der Familie Goldschmidt wohnten auch die beiden ledigen Geschwister von Jacob.
Auguste (Giedel), geboren1868, Beruf Schneiderin. Sie starb 1941, ihre letzte Ruhestätte ist ungewiss, entweder wurde sie auf dem jüdischen Friedhof in Fronhausen oder auf dem Sammelfriedhof in Marburg bestattet.
Friederike (Rickchen) Löwenstein, geboren 1872, Beruf Schneiderin.
Das Wohnhaus der Familie Goldschmidt stand in der Gossestraße, es existiert heute nicht mehr. Mit Dorfnamen nannte man die Familie „Isaaks“.
![SW-Familienfoto der Eltern und 4 Kindern](/images/zoom_bilder/loewensteins.jpg)
Hermann und Johanna Löwenstein geborene Katten aus Halsdorf, mit vier Kindern: Karl, Jenni, Trude und Friedrich. In ihrem Haus am Stollberg unterhielt die Familie einen Metzgerladen. Hermann handelte auch mit Vieh und besaß große Ackerflächen. Er starb 1937 nach einer Operation in Frankfurt und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Fronhausen bestattet. An seiner Beerdigung nahmen drei Geschäftsfreunde Ruth, Pfeffer und Schlapp aus Bellnhausen teil. Sie wurden wegen der Teilnahme denunziert und aus der Berufsgenossenschaft ausgeschlossen. Dem Poststelleninhaber Ruth wurde die Poststelle auf seinem Hof entzogen.
Hermanns Eltern waren Moses II. und Dina geborene Sonn aus Röllshausen.
Im Haus der Löwensteins lebte auch die Schwester von Dina, Minnchen Sonn. Sie starb 1938 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Fronhausen bestattet. Einen Grabstein besitzt sie nicht.
Hermanns Schwester Johanna (Jette) heiratete Meier Katten II.; er war der Bruder von Johanna (Sannchen). Mit Dorfnamen nannte man diese Familie Löwenstein „Hirsche“.
![Portrait](/images/zoom_bilder/giedel_sara_loewenstein.jpg)
![SW-Foto von Ladengeschäft mit 3 Personen im Vordergrund](/images/zoom_bilder/metzgerladen1.jpg)
Regina Löwenstein geborene Rosenbaum, mit Tochter Irma und Sohn Hermann. Sie wohnten in der Gießener Straße und handelten mit Häuten und Fellen. Der Ehemann Moritz starb bereits 1927 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Fronhausen bestattet. Tochter Irma heiratete 1938 Salli Nathan aus Lohra. Moritz war ein Bruder von Hermann Löwenstein. Die Ehefrau Regina Rosenbaum wurde 1878 in Hochelheim geboren. Ihre Eltern sind Heimann und Minna Rosenbaum geborene Hess.
Der Dorfname dieser Familie Löwenstein war: „Moritze“.
Julius Löwenstein, geboren 1878, Kaufmann und Witwer, mit Sohn Otto. Die Ehefrau von Julius, Rosa geborene Hammerschlag aus Hannoversch-Münden, starb 1928 im Alter von 43 Jahren und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Fronhausen bestattet.
In ihrem Haus in der Gladenbacher Straße führten Julius und Otto ein großes Textilgeschäft, das 1930 seit 50 Jahren bestand. Sohn Otto heiratete 1940 Elfriede Katz aus Inheiden und wohnte bei seinen Schwiegereltern in Inheiden.
Julius Eltern waren Moses Löwenstein I. und seine Ehefrau Henriette geborene Schott aus Bad Soden am Taunus. Mit Dorfname nannte man die Familie „Mendels“.
![Collage von Foto von geschlossenen Ladengeschäft und Jubiläumsbutton](/images/zoom_bilder/textilgeschaeft.jpg)
![Handgeschriebene Rechnung](/images/zoom_bilder/rechnung.jpg)
Minna Krug war Haushälterin bei Julius Löwenstein. Anfang März 1938 zog sie nach Felsberg. Ihre Nachfolgerin wurde Sybilla Neuhaus, 1898 in Westerburg als Tochter des Sattlers und Polsterers Louis Neuhaus und seiner Frau Henriette geb. Hirsch geboren. Sie trat am 15. August 1938 ihren Dienst bei Julius Löwenstein an.
Am Abend des 9. November 1938 (Novemberpogrom) wurden die Fensterscheiben bei den jüdischen Familien eingeworfen. Im Betsaal in der Marburger Straße wurde das Inventar zerstört, viele Gegenstände wurden auf die Straße geworfen.
Im Mai 1941 wurden 11 jüdische Personen aus Neustadt in die Häuser der Familien Johanna (Sannchen) Löwenstein und Gottfried Goldschmidt zwangsumgesiedelt. Hierbei handelte es sich um zwei Familien Kanter: Hugo, Moritz, Selma, Abraham, Karoline geborene Weinberg, und Ludwig, Walter, Emanuel, Pauline und Moses sowie Rosa Sachs.
Mit den beiden Deportationen aus dem Landkreis Marburg am 8. Dezember 1941 in das Ghetto Riga und am 31. Mai 1942 nach Lublin/Sobibor wurde die jüdische Bevölkerung aus dem Dorf ausgelöscht.
Als einzige Überlebende des Holocaust kehrte 1945 das Geschwisterpaar Jenni und Trude Löwenstein nach Fronhausen zurück. 1946 emigrierten sie zu ihren Verwandten, die noch im Januar 1941 aus Halsdorf flüchten konnten, nach San Francisco.
![SW-Foto, Portrait zweier Frauen](/images/zoom_bilder/trudi_jenni_1945.jpg)
![Color-Foto, Portrait zweier Frauen](/images/zoom_bilder/trude_jenni_1999.jpg)